Samstag, 27. März 2010

Der Mythos über Verantwortung vor Gott

"Ohne Verantwortung vor Gott würden wir uns nur noch gegenseitig umbringen."

Dieses Statement ist ein Klassiker unter Gläubigen, der sich seit Jahrtausenden, nicht nur im allbekannten Christentum durch die Geschichte zieht. Ohne das Richten nach dem Lebensende sei man nicht fähig, moralisch zu handeln, wird nicht nur hierzulande oft als ultimatives Argument für die Religion und gegen den Atheismus verstanden, zumal die Kirchen sich oft als Bewahrer der Moralität und der Menschlichkeit sehen.
Man muss mir verzeihen, wenn ich bei solchen Statements zu lachen anfangen muss. Denn es gibt viele Argumente, die das Ganze in einem ganz anderen Licht stehen lassen:
Moral ist sehr dehnbar. Oft versteht man unter moralischem Handeln die Menschlichkeit und die so oft beschworene "christliche Nächstenliebe", jedoch würde ich dies anders sehen. Moral und Ethik sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen. Ethik ist das, was man auch die humanitas nannte und nennt, Moral ist eher das, was man als "sittlich" und "züchtig" bezeichnet. Und selbst der alte Geschichtsschreiber Titus Livius, damals fast symptomatisch für diese Zunft, war eher an dem Letzteren interessiert, als er die Vergangenheit Roms in mythischer Tugendhaftigkeit auferstanden sehen wollte, um so ein moralisches, nicht ethisches Beispiel zu geben.
Und hier will ich die Kirchen mit ihrem Anspruch in die Pflicht nehmen:
Sie erzählen von sich als von einer ethischen Institution, meinen aber eher eine moralische. Dabei ist längst bewiesen, dass die humanitäre Hilfe der Kirchen nicht gerade aus den Kirchensteuern stammt, sondern entweder aus privaten Spendenaufrufen kommt oder fast vollständig vom Staat mitfinanziert wird. Da macht meine Schule, die katholische Privatschule Brede in Brakel, auch keine Ausnahme: Auf einer Tagung mit den Oberstufenschülern wollten sie Eindrücke von den Schülern sammeln, was sie noch besser machen könnten, der Vortrag dabei wurde aber so nervös durchgeklickt, dass es fast nicht aufgefallen wäre, dass bei den Finanzen Folgendes erkenntlich wurde:
Nur 10 Prozent (!) stammen vom privaten Träger. Der Rest kommt alles vom Staat, trotzdem bekommt die Kirche Sonderprivilegien, so zum Beispiel auch die Umgehung der säkularen Richtlinien für öffentliche Schulen, was bedeutet, dass die gesamte Schule mit ekelhaft brutalen Kruzifixen garniert wurde...
Carsten Frerk hat in seinem Buch eindrucksvoll die Kirchenausgaben dokumentiert und damit den Mythos von der humanitären Kirche zerstört, denn meine Schule war kein Einzelfall:
Summa summarum stammen nicht einmal 50 Prozent des Geldes von der katholischen Kirche, das man für humanitäre Zwecke verwendet, der Rest davon kommt vom Staat, für den alle einzahlen. Nein, ein großer Teil der Einnahmen der Kirche, dessen Privileg der Kirchensteuer noch vom Reichskonkordat, mit dem Regime der Nationalsozialisten ausgehandelt, herzuleiten ist, wird für Priestergehälter ausgegeben, meist sehr viel größer als von einem "demütigen Diener Gottes" zu erwarten sein sollte.
Ethisches Handeln kann von der katholischen Kirche nicht erwartet werden, auch die jüngsten Missbrauchsfälle zeigen dies. Ihre Rolle beschränkt sich also auf das Hochhalten der Moral.

Die Moral, verantwortlich für eine antik, ach nein, eher mittelalterlich anmutende Sexualmoral und einer unsinnigen Abwertung der Homosexuellen, hat auch schon im 2. Weltkrieg die Priesterschaft mehr interessiert als die ethische Komponente, nämlich die des Weltkrieges, der Unterdrückung und der Diskriminierung und Ermordung der Juden, Sinti und Roma.

Warum also dieses uralte Argument der Unverantwortlichkeit im Atheismus?

Weil es in der Bibel steht. Viele Christen lassen die katholische Kirche nicht als Maßstab gelten und tun sie als "unchristlich" ab. Das kann man tun, ist auch mittlerweile Mode geworden, ist aber nicht zielführend. Viele Christen, die von der katholischen Kirche enttäuscht sind, landen am Ende bei dubiosen, aber "charismatischen Pfingstgemeinden", auch genannt Freikirchen. Dort wird immer wieder der Eindruck erweckt, die Bibel sei die einzige Autorität in religiösen Fragen, was oft zu Fundamentalismus oder Kreationismus führt. Und auch dort steht:

Der Narr spricht in seinem Herzen, "Es ist keinen Gott!" Sie haben Verderben angerichtet, sie tun abscheuliche Taten; da ist keiner, der Gutes tut.

Eindeutige Tatsachen, nicht wahr? ;) Daher ist ein Atheist grundsätzlich böse und unmenschlich.

Aber woher kommt dieser einschlägige Irrtum?

Viele Christen wollen diese These mit der Verantwortlichkeit vor Gott beweisen. Aber was bedeutet das genau? Verantwortlichkeit vor Gott meint ja im herkömmlichen Sinne die Bestrafung eines Gottes, wenn er etwas Widersinniges findet, das funktioniert natürlich nur, wenn man den Gott als handelnden Gott sieht. Dieses Gottesmodell ist aber mittlerweile stark in der Defensive, nicht nur seit der Aufklärung, wo der Deismus notwendig war, um nicht von religiösen Dogmen am eigenen Denken gehindert zu werden, nein, wenn man naturwissenschaftlich und historisch einigermaßen aufgepasst hat, wird der handelnde Gott fast unmöglich, da man sich fast alles rational erklären kann. Da aber die Ursachen der Welt im Dunkeln liegen, bleibt der Gott ohne Macht als einziger übrig.
Und auch da ist die Verantwortlichkeit vor Gott noch gegeben:
Da auch aufgeklärte Christen von einem Leben nach dem Tode ausgehen, beginnt nach christlicher Überlieferung die Vorstellung eines Reiches Gottes, das man aber nur betreten dürfe, wenn man 1. Christ ist, 2. wenn man gottgefällig gehandelt habe.
Jemand wie ich, der also nicht nach Gottes Geboten lebt und das "Reich Gottes" ablehnt, wird in der Hölle schmoren... Ich sei also nicht verantwortlich vor Gott, ich lebte nicht nach Gottes Geboten und sei somit ein unmoralisches Individuum.

Aber stimmt das wirklich? Ist das Befolgen von Gottes Geboten wirklich dasselbe wie ethisches Handeln?

Wenn man die Gebote Gottes so ansieht (und das lässt sich nicht nur im Alten Testament nachlesen), ist es nicht unbedingt ethisch, was in der Bibel steht. Zwischen den ganzen göttlich aufgetragenen Völkermorden, erfundenen Persönlichkeiten und Mythen finden sich nur wenige wirklich ethische Gebote. Das ist natürlich eine Konsequenz der damaligen Kultur, die ethisch gesehen noch keine Menschenrechte kannte, zudem wird das damalige Israel eigentlich nicht als kulturschaffende Nation gesehen, sondern eher als ein gewöhnlicher Kleinstaat, der aber als Einziger damals den Monotheismus einführte, wenn auch erst nach den josaischen Reformen 7 Jahrhunderte vor Jesus, vorher war der Gott Jahwe nur ein monolatrischer Gott, also eine Art Übergott über polytheistische Gottheiten, die auch angebetet wurden.
Dass heutzutage die 10 Gebote als "Stützpfeiler der Menschenrechte" angesehen werden und dies in der Schule den Kleinsten beigebracht wird, ist ein Witz. Ein solcher Katalog, eigentlich eher 10 Verbote zu nennen, ist gemessen an Dokumenten wie dem Codex Hammurapi über 1000 Jahre vorher und dem römischen Recht, das es schon gab, als die 10 Gebote kanonisiert wurden, nichts wirklich Bemerkenswertes. Der einzige Grund, warum sie als solche dargestellt werden, sind die christlichen Wurzeln im Judentum.
Warum also dem Ethos einer antiken Halbnomadenkultur Glauben schenken?

Was ist also so toll daran, ein uraltes Gesetz zu befolgen? Warum ist dies mehr wert, als humanitäre Taten zu vollbringen?

Es ist nur das Wort "Gott". Die göttlichen Gebote sind menschengemacht, aber die Vorstellung, Gott richte den Gläubigen noch vor dem Lebensende, ist trotzdem Teil der Denkkultur vieler Gläubigen. Aber wenn wir uns nur vor Gott für die gottgewollten, moralischen statt ethischen Gebote halten müssen, was macht das Ganze dann überhaupt noch für einen Sinn?

Ich sage: Keinen. Entweder, man befolgt die göttlichen Gebote und steinigt also Ehebrecher, tötet Ungläubige, lebt fromm und abstinent, so steht es jedenfalls in der Bibel, und wird dann von Gott gerichtet, oder man will sich an weltliche, ethische, menschengemachte Gebote halten.
Irdische Gebote wie die Menschenrechte, den kategorischen Imperativ, der Anspruch, selbst zu denken (sapere aude! Immanuel Kant), und allgemein die Werte und Gebote, die es in dem kulturellen Kontext gibt, haben ihre Berechtigung und führen nicht zu einem moralischen Verfall. Auch wenn ein gewisser Bischof Mixa dies behauptet.

Die Verantwortung vor Gott als Argument für Religiösität ist also ein Argument ohne Wert, ein Rohrkrepierer, und ein Argument, die "göttlichen Gebote" vielmehr noch auf ihre soziale Tauglichkeit zu überprüfen. Was bringt es, Kondome zu verbieten? Warum diese ganze Abstinenz laut christlicher Überlieferung? Wieso dieser ganze Hass gegen Schwule?
Und warum religiöser Antisemitismus?
Die Bibel ist kein Werk für rechtes Handeln, auch wenn es sicherlich schöne und ethische Passagen enthält, und daraus allein sein Handeln abzuleiten, ist nicht möglich.

Aber vielmehr gibt es ein Problem bei jedweder Religiosität und auch in diesem Bezug:
Wenn ich Gottes Gebote befolge, winkt mir das Himmelreich. Insofern ist es auch völlig egal, was ich tue, soweit es nur von Gott befohlen ist. Wenn also im Koran steht:
Kämpft mit der Waffe gegen sie, bis es keine Versuchung (zum Abfall vom Islam) mehr gibt und die Religion Allahs allein überall herrscht.
, dann wird sämtliche Verantwortlichkeit vor den Menschen aufgehoben. Sie dürfen tun, was ihnen befohlen wird, denn Gott habe ja ein Ziel und würde auch zu grausamen Mitteln greifen, wenn er gute Absichten habe. Dies ist aber nicht nur bei Muslimen sichtbar. Auch Christen, vor allem bibeltreue Freikirchler, liebäugeln mit dieser Legitimation. In meinem bevorzugten Forum, atheisten.org, musste ich eines Tages doch tatsächlich dies lesen:
Gott hat noch nie etwas böses getan. Er benutzt das Böse, d. h. das, was Seinem Willen zuwider läuft, trotzdem zu seinem guten Plan. Das war im AT nicht anders als im NT, und ist heute auch nicht anders.
Die Reaktionen waren entsprechend geschockt. Und darin liegt der Nachteil jeder Religion:
Religionen stellen ein non plus ultra an höchste Stelle, eine Stelle, die nicht mehr infragegestellt werden dürfe, daher sind die Folge von solchen Ansichten meist der religiöse Fanatismus, mündend in Massaker, Vergewaltigungen und dergleichen, denn mit dieser göttlichen Legitimation ist entgegen der landläufigen Meinung alles erlaubt.
Es ist kein Wunder, dass die Kreuzzüge auf so großen Widerhall in der Bevölkerung stießen und heutzutage der djihad offen gepredigt wird. Wer den göttlichen Willen deuten darf, hat die Kontrolle über die Gläubigen, er kann ihre Naivität für seine Zwecke ausnutzen. Und wenn der angebliche göttliche Wille über die Verantwortung vor den Mitmenschen überhandnimmt, brechen üble Zeiten an.


Um Ethik geht es also nie in der Religion, auch wenn man sie als Inbegriff derselben ausgewählt hat. Aber in Berlin hat man es auch schon geschafft, den Ethikunterricht von der Religion zu entkoppeln, und es scheint zu funktionieren. Daher muss eher gelten:

Die Verantwortung vor den Menschen ist immer gegeben. Es reicht, wenn man sich ethisch und sozial verhält, dafür braucht man keinen Gott.

Atheistische Grüße,
mardas

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